Krankgeschrieben, weg von Alltag und Familie für mindestens zwei Monate? Das kam für die Einzelhändlerin und Mutter nicht in Frage, schließlich erfordert eine stationäre Therapie für Menschen mit Alkoholsucht einen langen Klinikaufenthalt, den viele Betroffene scheuen. Mit der Ambulanten Rehabilitation bietet die Diakonie Fachstelle Sucht in Dortmund jährlich rund zwei Dutzend Menschen mit Suchterkrankungen eine sinnvolle Alternative und setzt in der Therapie auf wöchentliche, verbindliche Gruppensitzungen und Einzelgespräche, während der Alltag weiterläuft. Fast alle sind berufstätig, viele haben Familie und Verpflichtungen. „Die meisten von ihnen blieben in ihren Trinkphasen weiterhin berufstätig aber leistungseingeschränkt, doch welchen Stellenwert der Alkohol tatsächlich in dem jeweiligen Leben eingenommen hat, merken viele zu spät“, so Frank Schlaak, Leiter der Diakonie Fachstelle Sucht. Sonja ist eine dieser Menschen, ihren Kater hat sie irgendwann nur noch mit Konterschnäpsen in den Griff bekommen. Mit drei weiteren Betroffenen hat sie sich im Diakoniezentrum Arndtstraße verabredet, um zurückzublicken, auf den ganz individuellen Sieg gegen die Sucht und auf das Leben ohne Alkohol. Niemandem im Raum sieht man die ehemalige Abhängigkeit und den Kampf dagegen heute an. Wer den Raum passiert, denkt hier läuft eine Teamsitzung.
Etwa zwei Millionen Menschen leben in NRW laut hiesigem Gesundheitsministerium mit einem Alkoholproblem. Rund 400.000 davon gelten als abhängig. In Dortmund sind dies 13.000 Menschen mit einer Diagnose Alkoholabhängigkeit, weitere 12.000 Menschen konsumieren Alkohol in schädlicher Weise. Insgesamt 25.000 Dortmunderinnen und Dortmunder weisen damit eine behandlungsbedürftige alkoholbezogene Störung auf (Suchtbericht Stadt Dortmund 2017). Präventionsmaßnahmen greifen zwar, doch speziell bei jüngeren Menschen nimmt der Alkoholkonsum in den vergangenen Jahren stetig zu, auffällig sind mittlerweile bundesweit auch die Trinkgewohnheiten von Berufstätigen. „Warum bin ich heute hier, was für Probleme dominieren im Moment – die Schwierigkeiten der Rehabilitanden gleichen sich und oft hilft es schon, sie unter ebenfalls Betroffenen auszusprechen“, sagt Frank Schlaak, der weiß, dass diese Art der Reha, bestehend aus Gruppen- und Einzelsitzungen, nicht für jeden geeignet ist: „Deshalb arbeiten wir Hand in Hand mit den stationären Einrichtungen und entscheiden gemeinsam, welche Option in Frage kommt. Wir verstehen uns als Lotsen im Suchthilfesystem. Manchmal ist es auch genau richtig, für eine Zeit aus seinem Alltag, seinen Routinen herauszukommen.“
Für David D. war das nichts. Der Energie-Elektroniker blickt auf ein bewegtes Leben zurück: Kraftsport, Tattoos, schnelle Autos, der Drang nach Exzess spielte dabei immer eine Rolle. Doch als dann hochprozentiger Alkohol und Kokain dazu kamen, war der Spaß vorbei: „Ich blieb halbwegs arbeitsfähig, war aber teilweise drei Tage am Stück wach. Danach war ich völlig am Ende. Bis zum nächsten Rausch.“ Es folgten Führerscheinentzug und schließlich der Entschluss, das Leben mit Anfang 40 noch einmal zu verändern. Während Sonja K. über ihren Hausarzt, dem sie sich anvertraut hat, zur Diakonie kam, wurde David von einer betrieblichen Ansprechpartnerin für Suchtfragen seines Arbeitgebers hier her vermittelt. Ebenfalls vertraulich und im besten Sinne für Firma und Mitarbeiter. Allerdings hatte David D. einen ziemlichen Wissensvorsprung. „Ich hatte bereits zwei stationäre Aufenthalte und sieben Entgiftungen hinter mir. Aber da kam ich mir vor wie in einer Jugendherberge und als ich dann nach Hause kam, waren alle Sorgen und Probleme wieder da. Deswegen mag ich es hier, meine Sucht und den anderen Krempel direkt gleichzeitig anzupacken“, so der heute 42-Jährige, der ebenfalls in diesem Frühjahr seine ambulante Reha beendet hat. Seitdem ist er weiter trocken, bleibt jedoch wachsam in Bezug auf mögliche Risikosituationen, um nicht rückfällig zu werden. „Es ist ein großer Erfolg, dass David heute gesund hier sitzt. Deswegen tauschen wir uns offen und vorurteilsfrei aus und entscheiden, für wen welche Therapie am erfolgversprechendsten ist. Wenn wir uns für die Ambulante Reha entscheiden, fangen wir mit sechs Monaten Therapie an, aber häufig geht es weiter“, erklärt Jonas Picht, der als Bezugstherapeut David knapp 18 Monate begleitet hat. Die gesamte Zeit über war er berufstätig und hat auch jetzt noch denselben Arbeitgeber, dem er sehr dankbar ist.
Neben David sitzt Vanessa P., ihr Sohn ist heute fünf Jahre alt, als sie zu trinken anfing, war er ein Baby. „Ich war allein und habe mir einen Wein aufgemacht. Dann noch einen, dann immer mehr und immer häufiger.“, so die 44-jährige Mutter. Die Flasche im Anbruch hat sie immer im Wäschekorb versteckt. Warum sich das so eingeschlichen hat, wurde gemeinsam mit der Zahnarzthelferin in der ambulanten Rehabilitation aufgedeckt und erarbeitet. Sehr gut erinnern kann sie sich noch an ihre größte Sorge: „Ich saß dann volltrunken zu Hause und hatte solche Angst, man würde mich in diesem Zustand antreffen und mir mein Kind wegnehmen.“ Heute ist der Alkohol in ihrem Leben Geschichte, weil sie in der Therapie neue Bewältigungsstrategien erlernt hat. „Und ich habe keine Angst mehr. Ich bin frei“, so Vanessa.
Gabriele H. hatte da schon mehr im Gepäck. „Ich hatte eine Depression, zu einer Zeit, als diese Krankheit noch nicht so anerkannt war, wie heute. Da habe ich zu Alkohol gegriffen, um das Gedankenkarussell anzuhalten. Das hat wunderbar geklappt, aber ist natürlich ein Teufelskreis und eine eigene Medikation ist nie gut“, scherzt die 54-Jährige heute, für die das Trinken und die Symptome der Erkrankung schnell zu einem lebensbedrohlichen Cocktail wurden. Mobbing, Trennung und Jobverlust waren wichtige Auslöser. Übers Krankenhaus und eine Entgiftung ging es dann schon einmal zur Diakonie. Bis Mai 2021 folgte eine trockene Zeit, dann schlichen sich die Probleme, parallel zum Ausbruch der Coronapandemie, wieder ein. Mittlerweile ist die zweite Reha durch, die Depressionen bekämpft, die Suchtgedanken fort. „Das Leben hat wieder Farbe bekommen“, sagt sie heute. Seit Anfang 2023 sind alle vier Rehabilitanden fertig mit der Therapie. Ziel ist es nun, lebenslang abstinent zu bleiben – jeder Rückfall setzt alles wieder auf Anfang. Deswegen lehnen sie auch weiterhin jedes Glas ab, egal, zu welchem Anlass, egal, wie klein das Gläschen ist und wie oft es angeboten wird.
*Die Namen der vier Rehabilitanden wurden geändert.
Ambulante Reha: Diakonie Fachstelle Sucht vereint Arbeit, Familie und Suchttherapie
Kontakt
Diakonisches Werk
Dortmund und Lünen gGmbH
Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Tim Cocu
Rolandstraße 10
44145 Dortmund
Tel. (0231) 84 94 279
Fax (0231) 84 94 271
presse@diakoniedortmund.de